Des Bundeskanzlers Umfrage auf Facebook
Wissenschaftliche Meinungsumfragen liefern politischen Autoritäten wesentliche Informationen zur Entscheidungsfindung. Unter Missachtung geltender Standesregeln und methodischer Prinzipien werden Umfragen – vorsätzlich oder ahnungslos – aber auch zu Instrumenten der Manipulation und Vehikeln der eigenen Ideologie.
Ein erschütterndes Beispiel für letzteres ist der Pinnwand des seit 26.10. aktiven Facebook-Auftritts des Bundeskanzlers der Republik Österreich zu entnehmen (http://de-de.facebook.com/bundeskanzlerfaymann?sk=wall). Hier ruft Kanzler Faymann zur Abstimmung über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (kurz FTS) auf. Was ist daran verwerflich, wenn sich der Bundeskanzler eines neuen Mediums bedient, um die Stimmung in der Bevölkerung zu aktuellen Themen zu erfahren?
Beginnen wir bei der Umfrage selbst: Die Frage selbst ist bereits suggestiv: „Bundeskanzler Werner Faymann will mehr soziale Gerechtigkeit und tritt daher vehement für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTS) ein. Wie stehen Sie zur FTS?“ Wer dagegen ist, ist demnach nicht für soziale Gerechtigkeit? Hier wird der „User“ bereits in eine bestimmte Richtung gedrängt, denn wer will schon nicht sozial gerecht sein? Von den vier Antwortalternativen sprechen sich drei für die FTS aus, eine Option „prinzipiell“ dagegen. Ein Ungleichgewicht?
Neben der Formulierung der Frage und deren Antwortalternativen stellt sich insbesondere die Frage WER an dieser Facebook-Umfrage teilnimmt? Grundsätzlich könnten dies Facebook-User sein (Basis: derzeit laut Facebook ca. 2,6 mio ÖsterreicherInnen, davon 2,4 mio zwischen 14- und 49-Jahren). Damit wären theoretisch rund ein Drittel aller ÖstereicherInnen angesprochen – die auf Grund ihrer Struktur jedoch keinesfalls repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind – sofern sie regelmäßig auf Facebook aktiv sind, den Facebook-Auftritt des Bundeskanzlers kennen und auch an der Umfrage teilnehmen wollen. Denn diese ist – entgegen unseren Standesregeln (ESOMAR-Codex) – nicht anonym. Jeder Facebook-User kann sehen, wer sich für welche Antwortalternative in der Bundeskanzler-Umfrage entschieden hat. Es bedarf einiges an Courage, um sich öffentlich gegen die Position des Kanzlers stellen. Im Übrigen darf angenommen werden, dass sich unter den Zustimmern der FTS auch zahlreiche User finden, denen der Bundeskanzler-Auftritt „gefällt“ (derzeit rund 2.400). Nochmals zusammengefasst: Die Stichprobenbasis für diese „Umfrage“ ist eine Gruppe Facebook-User, die des Bundeskanzler-Auftritts kundig sind, diesem wohlwollend gegenüber stehen und bereit sind, sich öffentlich zu deklarieren.
Und das Ergebnis? Ist bei rund 400 Teilnehmern wenig überraschend, eine überwältigende Mehrheit für die FTS ab 2014 – die eigentliche politische Position des Bundeskanzlers, aus der er vor Start der Umfrage kein Hehl gemacht hat.
Und nun folgt das Unfassbare: Bundeskanzler Faymann leitet aus diesem verzerrten Voting-Ergebnis eine Legimitation seines Standpunktes im darauffolgenden Posting ab: „Unsere Umfrage zur Finanztransaktionssteuer (FTS) hat gezeigt, dass die Mehrheit der User für eine Einführung einer FTS ist…der Bundeskanzler wird seine Position weiterhin forcieren, damit die FTS spätestens in drei Jahren…“. Die Mehrheit der „User“? Welcher „User“ bitte? Siehe oben.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, es geht mir nicht um den Inhalt der Frage. Eine FTS mag sinnvoll sein, oder auch nicht. In jedem Fall wurde hier aber die Umfrageforschung missbraucht, um eine eigene politische Position zu untermauern. Umso dramatischer, dass dies im offiziellen Facebook-Auftritt des Bundeskanzlers erfolgt, der auch Vorbildwirkung haben sollte.
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